Über die Herausforderungen glaubwürdiger Kommunikation aus kreativer Sicht

Mein Kollege Simon Ueberheide schrieb letzte Woche einen Blogpost über die gestiegene Notwendigkeit glaubwürdiger Kommunikation am Beispiel des Kniefalls der Fußballprofis von Hertha BSC. Er verglich die Aktion mit dem spontanen Kniefall von Willy Brandt vor dem Mahnmal des Warschauer Ghettos 1970 und leitete daraus die Forderung ab, in der Kommunikation wieder mehr auf Glaubwürdigkeit zu setzen.

Während Simon seinen Artikel schrieb, stand ich mit einem Glas Weißwein in einer dieser Bars in Berlin Mitte und erlebte live und in Farbe, wie schwer es heute ist, so spontan und authentisch zu sein, wie einst Willy Brandt in Warschau.

Anja Pfeffermann, bei der CDU verantwortlich für digitale Strategien, war zu einer #nextGen-Veranstaltung der Brunswick Group eingeladen worden, um den Online-Wahlkampf ihrer Partei auszuwerten. Statt Zahlen zu präsentieren, erzählte sie Anekdoten. Der Hashtag #fedidwgugl sei ein Zufallsprodukt kurz vor Beginn einer Pressekonferenz gewesen, ebenso die Zustimmung zur Ehe für Alle bei einem Interview der Kanzlerin auf der Bühne des Maxim Gorki Theaters. Anja Pfeffermann gab sich alle Mühe, den Wahlkampf und den Machtanspruch ihrer Partei als eine Reihung von authentischen Zufällen und spontanen Gefühlsregungen zu erzählen.
Sie inszenierte sich selbst und die Strategie der Christdemokraten als glaubwürdig. Eben diese Inszenierung ließ sie unglaubwürdig wirken. Wie lässt sich dieses Phänomen erklären?

Wir leben in einer Zeit, die nach Authentizität lechzt. Eine Gesellschaft, die hauptsächlich über virtuelle Verbindungen kommuniziert, braucht das Narrativ der Wahrhaftigkeit. Hinter dem Bildschirm muss sich eine echte Geschichte oder eine echte Person bewegen, die ihre bloße digitale Wiedergabe mit wirklichem Leben füllt.
Hinter der Scheibe von Politik müssen sich Regungen und Zufälle zeigen. Hinter der Glaswand einer Maschine muss ein naturbelassener Waldsee glitzern, müssen echte Tränen rinnen und extra unaufgeräumte Schlafzimmer hinter den selbst erarbeiteten Muskelbäuchen hervorlugen. Eines der beliebtesten Testimonials unserer Tage ist ein wahres Kraftpaket an authentischer Ausstrahlung – der Fußballtrainer Jürgen Klopp.

Aber, wie die Beispiele Anja Pfeffermann und der Kniefall der Hertha-Spieler zeigen: Glaubwürdigkeit lässt sich nicht erzwingen. Sie kann nur da stattfinden, wo sie nicht stattfinden soll. Es liegt in ihrer Natur, dass sie aus einem spontanen Impuls entsteht. Der Betrachter durchschaut ihre Inszenierung. Die Zuschauer im Olympiastadion wussten nicht richtig, wie sie auf den Kniefall reagieren sollten. Er war ihnen peinlich. Die Gäste beim Empfang in Mitte schmunzelten in ihre Weingläser. Sie wussten, dass sie Geschichten aus dem politischen Berlin aufgetischt bekamen. Die Wähler machten ihr Kreuz nicht voller Überzeugung bei der CDU, sie waren verunsichert.

Was bedeuten diese Erkenntnisse für kreative und umfassende Beratung?

“Erzählt euch keine Geschichten!” So lautet eine zentrale Forderung aus der materialistischen Philosophie. Anders, als man spontan vermutet, heißt das nicht, dass keine Geschichten mehr erzählt werden sollen. Die Forderung will vielmehr sagen: “Macht euch nichts vor.” – Glaubwürdige Kommunikation erzählt von Realitäten.
Der Grundansatz von kreativer Beratung muss daher in der Beobachtung dessen liegen, was da ist. Welche Geschichte erzählt sich ein Unternehmen über sich selbst? Stimmt sie mit dem überein, was wir vorfinden? Liegt in dem, was wirklich vorhanden ist, nicht die eigentliche Stärke, die kommuniziert werden kann?
Kampagnen können keine authentischen Geschichten erzählen, ebensowenig wie politische Strategien oder Kniefälle im Mittelkreis. Kampagnen können nur glaubwürdige Impulse einfangen und in Geschichten umwandeln. Kommunikation muss aufhören, authentische Bilder produzieren zu wollen, sie kann nur glaubwürdig wirksam werden, in dem sie nicht versucht, authentisch zu sein.

 

Autor: Georg Carstens